Physiotherapie und Umsatzsteuer: Selbstzahlerleistungen unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei
In der Physiotherapie sind Heilbehandlungen von der Umsatzsteuer befreit, Leistungen ohne ärztliche Verordnung hingegen nicht. Doch auch Selbstzahlerleistungen können unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei bleiben. In der Praxis ist die Regelung mit Vorsicht zu genießen.
Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 16. April 2021 eine (halbwegs) klare Regelung zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Selbstzahlerleistungen in der Physiotherapie geschaffen. Die Umsätze der Physiotherapeuten sind in der Regel umsatzsteuerfrei. Sie fallen unter den allgemeinen Begriff der Heilbehandlung und werden somit gemäß § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Als Nachweis des dafür notwendigen therapeutischen Zwecks der Behandlungsleistung sollte grundsätzlich eine ärztliche Verordnung vorliegen.
Darüber hinaus werden regelmäßig Leistungen erbracht, die „der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands und dem Wohlbefinden“ dienen. Dies können Folgebehandlungen ohne Verordnung, Kurse, Gerätetraining, Massagen oder besondere Therapieformen sein, die nicht verordnungsfähig sind. Diese Leistungen sind nach Auffassung des Gerichts keine Heilbehandlungen und unterliegen somit der Umsatzsteuer. Ist die Leistung grundsätzlich verordnungsfähig und fehlt es nur an der Verordnung, ist der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent anzuwenden. Ansonsten gilt der Regelsteuersatz von 19 Prozent.
Leistungen an Selbstzahler in Form der Anschlussbehandlung können aber nach Auffassung des Gerichts unter bestimmten Voraussetzungen steuerfreie Heilbehandlungen bleiben. Anschlussbehandlungen könnten danach in den Fällen steuerfrei sein, in denen der Therapiezweck nachgewiesen wird. Hiervon ist insbesondere dann auszugehen, wenn bereits vor der Anschlussbehandlung eine ärztliche Verordnung vorlag und im Nachgang zur nicht ärztlich verordneten Physiotherapie – in der Regel im nächsten Quartal, spätestens jedoch nach Ablauf eines Jahres – wegen derselben chronischen Erkrankung eine erneute ärztliche Verordnung zur Physiotherapie vorgelegt wurde.
Therapeuten sind auf Mitwirkung des Patienten angewiesen
Diese auf den ersten Blick klare Regelung ist in der Praxis mit Vorsicht zu genießen: Liegt im Rahmen einer Folgebehandlung noch keine (Folge-)Verordnung vor, ist der Therapeut auf die Mitwirkung des Patienten angewiesen. Es sollte in jedem Fall in der Patientenakte bereits dokumentiert werden, dass die Anschlussbehandlung medizinisch notwendig war. Legt der Patient innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist keine Folgeverordnung vor, ist die Umsatzsteuer aus dem Entgelt gegebenenfalls herauszurechnen.
Sofern diese Zusatzkosten in der internen Kalkulation nicht berücksichtigt sind, bringt die Behandlung nicht den gewünschten Deckungsbeitrag. Darüber hinaus ist die Leistung nachträglich den umsatzsteuerpflichtigen Leistungen zuzuordnen und könnte zum Überschreiten der Freigrenze der Kleinunternehmerregelung gem. § 19 UStG führen. Danach ist auch für grundsätzlich umsatzsteuerpflichtige Leistungen keine Umsatzsteuer an das Finanzamt zu zahlen, wenn die Gesamtumsätze (ohne die steuerfreien Leistungen aus Heilbehandlungen) im vorangegangenen Jahr nicht mehr 22.000 Euro betragen haben und im aktuellen Jahr voraussichtlich nicht mehr als 50.000 Euro betragen werden. Wird die Grenze überschritten, ist der Physiotherapeut im Folgejahr umsatzsteuerpflichtig. Sofern in der Praxis die Kleinunternehmerreglung in Anspruch genommen werden soll, ist die Einhaltung der Freigrenze ständig zu prüfen. Im Zweifel sollte geprüft werden, ob sich Umsätze in das Folgejahr verlagern lassen.