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Nachweis einer Behinderung für Kindergeldanspruch

Finanzgericht Hamburg stellt weniger strenge Anforderungen als Familienkasse
Nachweis einer Behinderung für Kindergeldanspruch
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17.01.2024 — zuletzt aktualisiert: 23.01.2024 — Lesezeit: 4 Minuten

Nachweis einer Behinderung für Kindergeldanspruch

Finanzgericht Hamburg stellt weniger strenge Anforderungen als Familienkasse

Für Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht unter anderem dann Anspruch auf Kindergeld, wenn sie wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderungen außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist. Wie der Nachweis einer solchen Behinderung erfolgen kann, hatte das Finanzgericht Hamburg zu entscheiden (Urteil vom 12. Oktober 2023 – 1 K 121/22 – rechtskräftig).

Geklagt hatte eine Mutter, deren Tochter seit Jahren unter anderem an Angstzuständen und Depressionen litt. Verschiedene Amtsärzte sowie eine sozialmedizinische Begutachtung des sozialmedizinischen Dienstes stellten wiederholt eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit fest. Das Kind sei unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes unter 3 Stunden täglich arbeitsfähig und diese Einschränkung bestehe für mehr als 6 Monate. Die gesundheitlichen Einschränkungen waren mit Angsterkrankung, sozialem Rückzug, Erwartungsängsten und Vermeidungsverhalten sowie depressiver Grundstimmung bei bestehender schwerer Selbstwertproblematik angegeben. Zudem war festgehalten, dass das Kind nicht mindestens 15 Wochenstunden auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten kann.

Familienkasse verlangt formelle Nachweise

Die Familienkasse versagte den Kindergeldbezug, da eine Behinderung zum damaligen Zeitpunkt, insbesondere dessen Eintritt vor Vollendung des 25. Lebensjahres, nicht entsprechend der internen Richtlinien „Dienstanweisung Kindergeld“ nachgewiesen war. Die Familienkasse erkennt danach nur folgende Nachweise für das Vorliegen einer Behinderung an:

  • Behindertenausweis mit mindestens Grad 50
  • Bescheinigung der Sozialbehörden bei einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 20
  • Rentenbescheid
  • Einstufung in Pflegegrad 4 oder 5
  • Bescheinigung bzw. Zeugnis des behandelnden Arztes oder ärztliches Gutachten. Aus der Bescheinigung bzw. dem Gutachten muss Folgendes hervorgehen: Vorliegen der Behinderung, Beginn der Behinderung, soweit das Kind das 25. Lebensjahr vollendet hat, und Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des Kindes.

Finanzgericht – Nachweis kann sich auch aus anderen Unterlagen ergeben

Das Finanzgericht gab der Mutter Recht und erkannte den Kindergeldanspruch an. Für die Frage, ob eine Behinderung im Sinne des Einkommensteuergesetzes besteht, komme es darauf an, ob eine Behinderung im Sinne der gesetzlichen Definition im Sozialgesetzbuch (SGB) IX vorliegt. Nach § 2 SGB XI sind Menschen mit Behinderungen „Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.“

Entscheidend ist dabei nicht die seit Beginn der Erkrankung oder seit ihrer erstmaligen ärztlichen Feststellung tatsächlich abgelaufene Zeit, sondern die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung.

Die Form des Nachweises der Behinderung ist allerdings nicht gesetzlich geregelt. Auch die in der Dienstanweisung Kindergeld formulierten Möglichkeiten des Nachweises der Behinderung können nach Ansicht des Gerichts nicht abschließend vorgeben, wie der Nachweis der Behinderung zu erbringen ist. Auch ohne eine Verwendung des Begriffes Behinderung in einer ärztlichen Bescheinigung oder einem Gutachten ist daher gleichwohl zu prüfen, ob aufgrund der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen bzw. Gutachten auf eine Behinderung im Sinne der gesetzlichen Definition zu schließen ist.

Nur ein solches Verständnis der Anforderungen an den Nachweis einer Behinderung steht laut Finanzgericht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH). Der BFH nimmt eine Abgrenzung ausschließlich danach vor, ob die gesundheitliche Beeinträchtigung regelmäßig mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostisch nicht länger als sechs Monate oder aber mehr als sechs Monate dauert.  

Im Streitfall war das Finanzgericht nach der Auswertung von amtsärztlichen Gesundheitszeugnissen und Gutachten eines Sozialmedizinischen Dienstes auch ohne das Vorliegen von Bescheinigungen eines behandelnden Arztes und trotz erst spät im Verfahrensverlauf erfolgter Feststellung eines Grades der Behinderung vom Vorliegen einer Behinderung und deren Eintritt bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres überzeugt.

Danach bestand auch im Streitzeitraum eine seelische Behinderung, die zur Erwerbsunfähigkeit des Kindes führte und damit zu einer Einschränkung der Möglichkeiten der Teilhabe an der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt. Die Voraussetzungen einer Behinderung gemäß SGB IX waren danach erfüllt.

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