Umsatzsteuer bei ärztlichen Care-Plus-Verträgen
Das Gesundheitssystem und die Pflege sind am Anschlag. Da ist jede Maßnahme willkommen, die zur Vermeidung von unnötigen Arztbesuchen oder Krankenhausaufenthalten beiträgt und so Kosten und Zeit spart. Eine Maßnahme des Gesetzgebers war die Schaffung von engen Kooperationen von niedergelassenen Ärzten mit Pflegeheimen im Rahmen der sogenannten integrierten Versorgung. Auch das medizinische Versorgungszentrum (MVZ) im Streitfall hatte solche Care-Plus-Verträge mit Pflegeheimen abgeschlossen. Wie die Leistungen des MVZ umsatzsteuerlich zu beurteilen sind, musste das Finanzgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 14. Februar 2024 (Az.: 7 K 7004/22) entscheiden.
Ein Ansprechpartner für alle Wehwehchen
Die oben erwähnten Care-Plus-Verträge funktionieren nach dem folgenden Prinzip: ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin schließt mit Alten- und Pflegeheimen Verträge über die medizinische Versorgung von Heimbewohnern. Ziel der Verträge ist, sowohl das Hin- und Herpendeln der Bewohner zwischen Krankenhaus und Pflegeheim zu vermeiden, als auch die Krankheitskosten zu senken. Die Leistungen des Arztes umfassen daher regelmäßige Visiten einschließlich gegebenenfalls notwendiger Sofortbehandlungen sowie Rufbereitschaften und die Koordinierung des ärztlichen Therapieplans und der Medikation unter Einbeziehung mitbehandelnder Fachärzte und unter Integration des Heimpersonals.
Im Streitfall beurteilte die Prüferin des Finanzamtes die Leistungen des MVZ im Rahmen der Care-Plus-Verträge als umsatzsteuerpflichtig. Die Pflegeheime würden pro Belegtag einen Festbetrag als Tagespauschale an den Arzt bzw. das MVZ zahlen. Die Heilbehandlungen würden direkt mit der Krankenkasse oder den Patienten abgerechnet. Die Verpflichtung zur Kooperation mit dem Pflegeheim diene selbst nicht der Behandlung einer Krankheit oder Gesundheitsstörung. Die strittigen Leistungen stünden somit nicht im unmittelbaren Bezug zu einer Heilbehandlungsleistung, sondern zu den vom Pflegeheim erbrachten Pflegeleistungen.
Heilbehandlung oder nicht?
Für die Umsatzsteuerbefreiung war also entscheidend, ob die Leistungen der Ärzte des MVZ eine Heilbehandlung darstellen. Unter Heilbehandlung versteht man Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen erbracht werden. Unter Heilbehandlungen fallen auch Maßnahmen, die darauf abzielen, die Beobachtung und die Untersuchung der Patienten zu ermöglichen. Grundvoraussetzung für die Steuerbefreiung ist somit, dass die Umsätze im Zusammenhang mit Behandlungen stehen, die einem therapeutischen Zweck dienen. Diese Voraussetzung ist nicht in einem besonders engen Sinne zu verstehen. Vielmehr ist der Begriff unter Berücksichtigung des Zwecks der Steuerbefreiung auszulegen, der darin besteht, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken. Für die Steuerbefreiung ist es nicht erforderlich, dass die jeweilige Leistung bzw. der jeweilige Leistende den gesamten Behandlungsprozess abdeckt. Vielmehr reicht es aus, wenn die Leistung einen für den Behandlungsprozess erforderlichen Teilschritt darstellt.
Schwierig wird die Abgrenzung bei Leistungen, die sowohl Heilbehandlungszwecken als auch bloß der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands dienen können. Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Denn soweit die Leistungserbringung unabhängig von einem medizinisch diagnostizierten Krankheitsbild erfolgt, fehlt den Leistungen eine therapeutische Zweckbestimmung. Dies gilt auch, wenn die Leistungen dem Zweck dienen, den allgemeinen Gesundheitszustand zu verbessern und durch Prävention die Entstehung und Verschlimmerung von Krankheiten zu verhindern.
Einheitliche Leistung aus Patientensicht
Bei den Leistungen des MVZ für die Bewohner der Pflegeheime ist demzufolge nicht nur zu prüfen, ob sie originär Heilbehandlungen darstellen, sondern auch, ob sie eventuell als Nebenleistung zu Heilbehandlungen eingestuft werden können, die das umsatzsteuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann Neben- und nicht Hauptleistung, wenn sie für die Empfänger keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.
Die Umsätze aus den Care-Plus-Verträgen sind nach Auffassung der Finanzrichter umsatzsteuerfrei, da sie entweder eine medizinische Leistung oder eine Nebenleistung zu dieser Leistung darstellen. Zwar mögen die ärztlichen Leistungen durch die Teilnahme an der integrierten Versorgung von den Ärzten nach Art und Umfang anders erbracht worden sein als sie im Rahmen der gesetzlichen Regelversorgung erbracht worden wären. Dennoch standen auch bei diesen Leistungen der Ärzte therapeutische Ziele im Vordergrund, so dass diese als Heilbehandlungen zu qualifizieren sind.
Care-Plus-Verträge als steuerfreie Leistung
Die Kooperationsverträge sind gerade für den ärztlichen Bereich der integrierten Pflege geschlossen worden. Die Finanzrichter führten aus, es sei unerheblich, ob die Leistungen direkt von der Krankenkasse an den Arzt gezahlt, oder im Rahmen einer Pauschale durch das Pflegeheim für jeden Patienten abgegolten wurden, da dies nicht Voraussetzung für die Qualifizierung als Heilbehandlung ist. Im Anschluss gingen die Richter in ihrer Urteilsbegründung detailliert auf die einzelnen Leistungen ein.
Die Regelvisite zielt darauf ab, die Beobachtung und die Untersuchung der Patienten zu ermöglichen, noch bevor es erforderlich wird, eine etwaige Krankheit zu behandeln oder zu heilen. Die Bewohner eines Pflegeheims haben außerdem meist gesundheitliche Beeinträchtigungen und Krankheiten, die ohnehin einer dauerhaften Beobachtung und Behandlung bedürfen. Die Regelvisite hat somit einen therapeutischen Zweck. Gleiches gilt für die Rufbereitschaft. Sie ist als Sicherstellung der ärztlichen Behandlung der Pflegeheimbewohner als Heilbehandlung einzustufen. Denn derartige Dienste sind für ärztliche Behandlungen in einem Pflegeheim, in welchem ständig mit einem ärztlichen Notfall gerechnet werden muss, unerlässlich und gehören zum typischen Berufsbild eines Arztes. Auch die Fallbesprechung in multiprofessionellen Teams dient der Optimierung der ärztlichen Versorgung der Pflegeheimbewohner und ist damit Teil der Heilbehandlung, wie auch die Überweisung und Konsultation. Das Ausstellen von Rezepten und die Überprüfung der Medikation dient ebenfalls unmittelbar der Behandlung einer Gesundheitsstörung und stellt damit eine Heilbehandlung dar. Sogar die Organisation der Vertretung ist nach Auffassung der Finanzrichter als Nebenleistung steuerfrei, da sie für die Heimbewohner die optimale ärztliche Behandlung sicherstellt.
Fazit: Für die Finanzrichter war die Sachlage klar und die Leistungen des MVZ an die Pflegeheime im Rahmen der integrierten Versorgung umsatzsteuerfrei. Die Finanzverwaltung hat jedoch gegen das Urteil Revision eingelegt. Diese ist unter dem Aktenzeichen V R 5/24 beim BFH anhängig.